Wertewandel mit Herzblut (10.10.2018)
Die Dunkelheit mit allen Sinnen erfahren: Bei einer Nachtwanderung können Kinder nachtaktive Insekten erleben. Foto: tomertu/Fotolia
Studierende erarbeiten Konzepte, die den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft im Nordschwarzwald stärken sollen.
WiNo – das Kürzel steht für „Wissensdialog Nordschwarzwald“, ein Verbundforschungsprojekt zum Nationalpark Schwarzwald, an dem auch die Universität Freiburg beteiligt ist. WiNo geht es um Themen wie nachhaltige Regionalentwicklung und Wissenschaftskommunikation. Das vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst geförderte Projekt ist ein so genanntes Reallabor: Die in der Gesellschaft angesiedelte Forschung soll einen unmittelbaren Nutzen für Bürgerinnen und Bürger erzielen. Freiburger Studierende haben in einem Seminar Ideen dafür entwickelt – von einer Fotocommunity-App, mit der sich Pflanzen bestimmen lassen, über eine Wanderung, bei der nachtaktive Insekten bewundert werden können, bis hin zu Formaten wie Fahrgemeinschaften, die ein kritisches Bewusstsein für Konsum wecken sollen.
Im Sommer 2018 hat WiNo einen Erfolg gefeiert: Nach drei Jahren Laufzeit ging das Projekt mit einer weiteren Förderperiode von zwei Jahren in die Verlängerung. Die Freiburger Forstwissenschaftlerin Dr. Regina Rhodius ist Geschäftsführerin des Verbunds und bietet nebenbei auch Lehrveranstaltungen an. In dem Seminar „Nachhaltige Entwicklung der Nationalparkregion Schwarzwald“ können Studierende ihrer Kreativität freien Lauf lassen – denn sie beschäftigen sich nicht nur mit der Theorie. „Ein großer Gewinn ist der Praxisbezug“, sagt Rhodius. „So waren Exkursionen zum Nationalpark Bestandteil des Moduls und werden es auch bleiben. Zudem stehen die Studierenden im ständigen Austausch mit Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis.“ Konkret etwa mit den Verwaltern des Nationalparks oder Vertretern der Tourismusbranche. Die übernehmen Patenschaften und geben den Studierenden ein Feedback zu ihrer Arbeit.
Profitiert auch das Projekt von der Arbeit der Studierenden? „Ja, denn sie bringen neue Impulse“, betont Rhodius. „Es ist auch etwas ganz anderes, wenn in der Kommunikation mit Tourismusvertretern, Forstleuten, Unternehmern oder interessierten Bürgern junge Leute dabei sind, die etwas mit Herzblut erarbeitet haben. Da öffnen sich dann auch bei den anderen die Herzen, und man kann schwierige Themen sehr offen diskutieren.“
Die akademische Blase verlassen
Die Ergebnisse hätten sie überrascht und inspiriert, gesteht Rhodius. Das trifft zum Beispiel auf das Projekt „Go Nature“ zu. Die vier Studierenden, die die Idee entwickelt haben, möchten der wachsenden Entfremdung zwischen Gesellschaft und Natur entgegensteuern – mit einer interaktiven Fotocommunity-App, über die sich Naturinteressierte vernetzen und austauschen könnten. „Es geht zum einen darum, das Umweltwissen zu fördern. So könnten mithilfe der Community Pflanzen bestimmt werden“, sagt Maximilian Peter. „Die App soll zum anderen aber auch eine spielerische Komponente enthalten. Die Ästhetik der Natur ist ein wichtiger Punkt für uns.“
Gibt es überhaupt einen Bedarf nach einer derartigen App? „Wir haben eine Umfrage gestartet“, sagt Tapio Werth. „130 Personen haben unsere Fragen beantwortet. Es gab viel Zustimmung, aber auch kritische Stimmen – wie den Vorwurf der Gamification“. Einige hätten sich zu sehr an den spielerischen Elementen der App gestört. Unabhängig von der Frage der Realisierung sieht Peter schon jetzt einen Gewinn für sich. „Es ging und geht bei dem Projekt ja auch um den Prozess selbst. Man tritt aus der akademischen Blase heraus und lernt am praktischen Beispiel. Etwa wie man networkt. Und wie man sich gegenseitig hilft und unterstützt.“
Insekten bei Nacht
Das Projekt von Ilja Morgenstern und Irina Vesa ist eine Nachtwanderung mit Kindern auf dem Engelsberg im Naturpark. Ziel der Wanderung ist, nachtaktive Insekten zu beobachten. „Die Kinder sollen Dinge erleben und erfahren, die in der Schule so nicht vermittelt werden können“, sagt Vesa. „Sie sollen mit allen Sinnen die Natur bei Nacht erleben und wahrnehmen.“ Morgenstern merkt an: „Es soll nicht einfach eine Aneinanderreihung von Aufgaben sein, die sie erledigen. Schon dass die Wanderung bei Nacht stattfindet, ist vielleicht etwas ganz Neues für sie – und hoffentlich etwas, woran sie sich später einmal gern erinnern und sagen können: Ja, da habe ich etwas verstanden.“
Malin Herke und Mirjam Jakob widmeten sich in ihrer Gruppe der Frage, wie Werte der Nationalparkverwaltung in die Kommunalpolitik und die Wirtschaft einfließen könnten. Für den Entwurf eines Praxisleitfadens setzten sie anstelle des Begriffs der „Nachhaltigkeit“ auf den der „Suffizienz“. Will heißen: den Konsum reduzieren oder gar ganz auf ihn verzichten – und dabei einen Mehrwert erzielen. „Unser Projekt soll einen Anstoß für einen Wertewandel geben, bei jeder und jedem einzelnen. Aber wir wollen weiter hinaus und auch Themen wie beispielsweise den übermäßigen Flächenverbrauch zur Diskussion stellen“, sagt Herke.
Verzicht bringt Gewinn
Warum ist Verzicht sinnvoll? „Er kommt der Natur zugute, aber auch dem Menschen selbst“, sagt Jakob. „Wer nicht ständig konsumiert, hat mehr Zeit. Und man lernt ja auch zu schätzen, was man schon hat. Konzepte wie Fahrgemeinschaften oder Repair Cafés werfen im Gemeinschaftsgefühl zudem einen sozialen Mehrwert ab.“ Herke fügt hinzu: „Dazu kommen Reflexionsprozesse in Gang, im Sinne von: Hey, wie gut geht es uns eigentlich? Brauche ich wirklich schon wieder ein neues Smartphone?“ Bei der Präsentation im Bühlertal sei das Projekt gut angekommen, berichten die beiden Studentinnen.
Für Regina Rhodius liegt der Reiz der Lehrveranstaltung vor allem darin, dass die Studierenden ihre Konzepte nicht für die Schublade schreiben: Schon nächstes Jahr werden Morgenstern und Vesa sich mit Taschenlampen ausrüsten und gemeinsam mit Kindern nachtaktive Bewohner des Engelsbergs aufspüren.
Hans-Dieter Fronz