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„Hinter den Bauernprotesten steht das Gefühl einer fehlenden gesellschaftlichen Wertschätzung der Landwirtschaft“

Der Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaftler Heiner Schanz im Interview zu den aktuellen Protesten deutscher Landwirt*innen.
„Hinter den Bauernprotesten steht das Gefühl einer fehlenden gesellschaftlichen Wertschätzung der Landwirtschaft“

Traktoren mit Plakaten in München während einer Demonstration.

Herr Schanz, derzeit protestieren viele Landwirt*innen gegen Subventionskürzungen. Was steckt dahinter?

Bislang erhielten landwirtschaftliche Betriebe durchschnittlich 2.900 Euro Agrardieselbeihilfe pro Jahr und waren außerdem von der Kfz-Steuer für Landwirtschaftsfahrzeuge befreit. Die von der Bundesregierung beschlossene – und inzwischen teilweise wieder zurückgenommene – Abschaffung dieser Subventionen würde im Durchschnitt etwa 3 bis 4 Prozent vom Gewinn ausmachen. Aber eben im Durchschnitt: einige Tausend Euro mehr oder weniger können für viele Betriebe schon einen deutlichen Unterschied machen, insbesondere für die kleineren Höfe.

"Finanzielle Unsicherheit, extrem hohe Arbeitsbelastung, wenig Freizeit und mangelndes Verständnis in der Gesellschaft"

Den Landwirt*innen geht es bei ihren Protesten aber nicht nur um das Finanzielle. Dahinter steht wohl vor allem das Gefühl einer fehlenden gesellschaftlichen Wertschätzung der Landwirtschaft insgesamt. Unsere Forschung hat gezeigt, dass viele Landwirt*innen neben finanzieller Unsicherheit auch unter einer extrem hohen Arbeitsbelastung, wenig Freizeit und einem mangelnden Verständnis in der Gesellschaft für ihre Arbeit leiden. Diese Leistungen werden von der Öffentlichkeit nicht anerkannt. Große Teile der Bevölkerung hängen vielmehr einem romantisch verklärten Bild von Landwirtschaft nach, das mit der harten und komplexen Realität der Bauern und Bäuerinnen wenig zu tun hat. Wie sehr sich Landwirtschaft verändert hat, wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Beispielsweise werden Landwirt*innen weiterhin als „bauernschlau“ verunglimpft, obwohl viele von ihnen inzwischen über einen hohen Ausbildungsgrad verfügen – unter den Jüngeren oft ein Hochschulabschluss. Und sie fühlen sich immer noch pauschal als „Bienenkiller“ gebrandmarkt, obwohl sie oft freiwillig ihre Pestizideinsätze minimieren, einen Fokus auf Bodengesundheit und Biodiversität legen und zur Landschaftspflege beitragen. Solche Abwertungen finden sich an vielen Stellen, bis hin zum Mobbing von Bauernkindern in der Schule.

Die Proteste haben sich also an den finanziellen Kürzungsvorhaben der Bundesregierung entzündet, werden aber von tieferliegenden Konflikten und Unzufriedenheiten befeuert. Die Bauern und Bäuerinnen haben nun einmal mehr das Gefühl, als Prügelknaben der Nation zu dienen. Bei den Sparmaßnahmen sollen sie als Erste herhalten, während andere Subventionen wie das Dienstwagenprivileg nicht angetastet werden. Ifo-Präsident Clemens Fuest hat darauf hingewiesen, dass Landwirte durch die von der Ampel-Koalition geplanten Einschnitte bei Subventionen „weit überproportional“ belastet werden. Man sollte das nicht auf die gesamtwirtschaftliche Leistung der Landwirtschaft beziehen, sondern auf ihre Bedeutung für die Erreichung von Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen sowie der Stabilisierung des ländlichen Raums und damit letztendlich auch der Gesellschaft.

In Ihrer Forschung und Lehre setzen Sie sich intensiv mit der Situation der deutschen Landwirt*innen auseinander. Wie sieht deren finanzielle Lage aus?

Das durchschnittliche Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe ist in den letzten Jahren nominal wie real deutlich gestiegen. Das liegt vor allem an besseren und faireren Erzeugerpreisen für Lebensmittel und einem Rückgang des Arbeitsaufwands, beispielsweise durch Technologisierung und Vergrößerung von Betrieben. Allerdings liegen die Betriebseinkommen verglichen mit anderen Wirtschaftsbereichen, z.B. Handel und Gewerbe, trotzdem noch auf einem niedrigen Niveau. Außerdem schwanken die Einkommen sehr stark über die Jahre, je nach Entwicklung der Verbraucherpreise. Die finanzielle Situation ist also derzeit besser geworden, aber weiterhin angespannt. Und die Planungssicherheit für notwendige Investitionen in die Zukunft, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Klimawandels und gestiegener gesellschaftlicher Nachhaltigkeitserwartungen, bleibt herausfordernd.

Wichtig ist auch, dass es sich beim jüngsten Einkommenszuwachs um eine Durchschnittszahl handelt, hinter der sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Betrieben verstecken. Nicht jeder Betrieb profitiert gleichermaßen von der Einkommenssteigerung. Die jeweilige Größe des Hofs spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Fragen, ob der Hof im Haupt- oder Nebenerwerb geführt wird und um welche Betriebsart es sich handelt, ob also mit Dauerkulturen, Sonderkulturen, Grünland, Milchvieh oder im Mischbetrieb gearbeitet wird. Gerade die kleinen Betriebe stehen weiter unter großem Druck.

Was bedeuten die Subventionskürzungen für eine sichere und nachhaltige Lebensmittelversorgung in Deutschland?

Einerseits müssen wir anerkennen, dass die deutsche Landwirtschaft allein unsere Bevölkerung nicht ernähren kann. 2021 betrug der Selbstversorgungsgrad bei Gemüse 38 Prozent, beim Obst waren es sogar nur 20 Prozent. Für die Versorgung braucht es daher internationale Märkte. Andererseits ist klar festzustellen, dass die Landwirtschaft in Deutschland eine zentrale Bedeutung für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung hat. Das wurde nicht zuletzt in Pandemiezeiten deutlich, als Importe mancher Lebensmittel schwieriger wurden. Die Resilienz des Ernährungssystems zu stärken kann über die Sicherung von Gemeinwohlbelangen daher sogar als gesetzlicher Auftrag verstanden werden.

„Man muss diese ‚Subventionen aber nicht als Geschenke verstehen, sondern kann sie auch als Entlohnung der Landwirtschaft für wichtige Dienstleistungen interpretieren“

Aus Umwelt- und Nachhaltigkeitssicht noch entscheidender ist eine resiliente Landwirtschaft jedoch für Fragen der Ernährungssouveränität: Darunter wird das Recht aller Bürger bezeichnet, ihr eigenes Landwirtschafts- und Ernährungssystem zu definieren. Denn nur die Landwirtschaft, die in unserem Rechtsgebiet betrieben wird, können wir politisch ansteuern. Mit der finanziellen Unterstützung der Landwirtschaft erreichen wir also zwei Ziele: Wir halten die Landwirtschaft in Deutschland und wir gewinnen die Landwirtinnen und Landwirte als Partner beim Umwelt- und Biodiversitätsschutz. Die Direktzahlungen und Förderungen machen aktuell rund 40 Prozent des Einkommens der Betriebe aus und tragen zu deren Stabilisierung bei. Man muss diese „Subventionen“ aber nicht als Geschenke verstehen, sondern kann sie auch als „Entlohnung“ der Landwirtschaft für wichtige Dienstleistungen interpretieren, die sie erbringt – insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, die Erhaltung von Ökosystemen, die Landschafts- und Kulturpflege. Damit ist nicht gesagt, dass es nicht effektivere und effizientere Systeme der „Entlohnung“ als das heutige Flächenprämiensystem gibt. An der Argrardieselbeihilfe und der steuerlichen Befreiung von land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen anzusetzen, macht aber wenig Sinn.